Rezensionen zu "Aug' um Auge, Zahn um Zahn? Beispiele biblischer Streitkultur"



Aus "Unsere Kirche" 33/2005:

Streit in der Bibel

Immer noch gibt es die Meinung, dass Christen sich nicht streiten. Diese Vorstellung hat schon Lukas gepflegt: "Die Menge der Gläubigen aber war ein Herz und eine Seele." (Apg 4,32). Doch was da vorgestellt wird, ist eine Glaubensgemeinschaft, wie sie sein sollte, nicht eine, wie sie auch zur Zeit der ersten Christen existierte. Lukanische "Schönfärberei" nennt Susanne Krahe das und verweist darauf, dass die. mit dazu beigetragen hat, dass die "streitbare Kraft des Evangeliums ... uns heute kaum noch bewusst" ist.

In ihrem neuen Buch: "Aug' um Auge, Zahn um Zahn?" führt sie dagegen nicht weniger als 50 Beispiele auf, in denen es in der Bibel tatsächlich um handfesten Streit geht. Dabei orientiert sie sich an dem "jeweiligen Bezugsrahmen der Streitszenen", eine ausgesprochen sinnvolle Lösung. Sie unterscheidet persönliche Konflikte (von Kain und Abel bis zu Rivalitäten unter den Jüngern Jesu), Konflikte um Recht, Ordnung und Tradition (von Abraham und Lot bis zu Maria und Martha), den Streit um Glaubensfragen (von Hiob und seine Freunde) und den Streit mit Gott (von Abrahams Fürbitte um Sodom bis Jesus in Gethsemane).

Die Querverweise auf andere Geschichten machen deutlich, dass fast alle Streitfälle "Spuren religiöser Grundsatzentscheidungen" in sich tragen. Und sie weisen im Vorwärts? und Rückwärtsblättern überraschende Zusammenhänge auf. Das hat etwas von "Bibel, die sich selbst interpretiert". Und so ist es sicher nicht zu hoch gegriffen, von diesem schmalen 130 Seiten? Taschenbuch als von einem Kompendium der biblischen Streitkultur zu sprechen.

Friedrich Grotjahn



Aus "Psychotherapie & Seelsorge" 3/2005:

IN 50 BEISPIELEN beschreibt die evangelische Theologin Susanne Krahe, wie die Menschen der Bibel miteinander und mit Gott streiten. Die häufig gehörte Behauptung "Christen streiten sich nicht!" widerlegt sie damit nachdrücklich. Ihre Nacherzählungen und Deutungen der biblischen Geschichten sind ansprechend und zugleich provokativ. So kämpft Paulus gegen seine Gegner in Philippi in "zorniger Agitation" und gießt "graue Brühe" aus der "Zornesschale des Apostels". Dazu der Kommentar von Susanne Krahe: "Sachliche Einwände hätten einleuchtender geklungen" (S. 68). Auch das Cover unterstreicht die provokative Seite des Themas. Es zeigt als Motiv "Judith und Holofernes", also jene mutige und schöne Jüdin, die den feindlichen Feldherrn erst betrunken machte und dann ermordete. Sicherlich ein gute Illustration zum Thema "Streit", aber wohl kaum zur "Streitkultur". Schade auch, dass keines der vielen Beispiele aus dem Buch selbst als Titelbild gewählt wurde.

Susanne Krahe teilt die biblischen Streitfragen ein in "Persönliche Konflikte", "Konflikte um Recht, Ordnung und Tradition", "Streit um Glaubensfragen" und "Streit mit Gott. Dabei liegen in der Vielfalt der besprochenen Texte sowohl Stärke als auch Schwäche des Buches. Als positiver Ertrag ist am Ende für jeden klar, dass in der Bibel ganz unterschiedliche Streitfälle und Lösungsstrategien berichtet werden, ja dass nicht einmal alle Konflikte wirklich gelöst werden. Und selbst wer sich gut in den biblischen Texten auskennt, wird hier neue und anregende Perspektiven finden. Das kann gerade auch für seelsorgerliche hilfreich sein.

Andererseits kann die Vielfalt der Beispiele auch etwas verwirren. In jedem der vier Kapitel geht es einmal quer durch die Bibel. War man eben noch bei Kain und Abel, so liest man einige Seiten weiter schon vom Streit der Jünger Jesu, nur um dann gleich wieder zurück bei Jakob und Laban zu sein. Und manchmal denkt man als Leser, dass beim näheren Hinsehen sich durchaus noch weitere Perspektiven zur Streitkultur eröffnen könnten. Doch dann ist die Verfasserin längst schon beim nächsten Streitfall. Insgesamt bleibt das Buch etwas zu sehr bei der deutenden Beschreibung der Einzelfälle stehen ? systematischere Leitlinien für eine konstruktive "biblische Streitkultur" bietet es nur am Rande.

Auf den letzten Seiten erläutert die Verfasserin schließlich sehr ansprechend das im Titel genannte Talionsprinzip: "Auge um Auge, Zahn um Zahn" (2. Mose 21,24). Gerade diese oft als rachsüchtig verschrieene Formel hatte bereits im Alten Testament begrenzende Bedeutung. Denn in der Hitze des Streites lautet die Alternative ja nur zu schnell "Leben um Auge" (vgl. 1. Mose 4,23-24). Ein kontrollierter Schadensersatz kann dagegen alte Rechnungen begleichen und Versöhnung ermöglichen. Susanne Krahe weist darauf hin, dass Jesus mit der Aufforderung zum "Hinhalten der anderen Wange" in der Bergpredigt diesen Weg des Gewaltverzichts noch einen Schritt weiter geht. Und sie schließt mit dem Fazit: "Die Wahrheit des Evangeliums ist es wert, um sie zu streiten; sie ist überlegen genug, um nicht auf Biegen und Brechen ihr Recht auch durchsetzen zu müssen" (S. 133).

Christoph Rösel, Marburg



Aus "Neues aus Theologie und Philosophie" 2/2005:

Wenn es in der Kirche Streit gibt, werden alle hellhörig und wittern Unheil. Dass Streit auch fruchtbar sein kann, vergisst, wer sich das Miteinander von Christen nur in der Gestalt der "Friedhöflichkeit" (F. Schulz von Thun) vorstellen kann. Dass das Verdecken oder Überspielen von Differenzen keine Gemeinschaft weiterbringt, wird einfach ausgeblendet. Und da wagt es Susanne Krahe in der Bibel gerade solche Texte ausfindig zu machen, in denen von tief greifenden Konflikten unter Israeliten und Christen selbst, also keineswegs vom Streit mit Heiden, die Rede ist! Gewöhnlich werden solche Texte in Religionsunterricht und Predigt schamvoll übergangen oder gelten als unverständlich. Die einschichtig fromme Betrachtung der heiligen Texte ist freilich nicht die Sache der Autorin, die Lust am Streiten aber auch nicht. Aber die Bibel spricht eben vom Wort Gottes im Kontext menschlicher Erfahrungen und dazu gehören Konflikte, ob's gefällt oder nicht. Es zeigt sich mal wieder: Wenn man brisante Themen so differenziert und mit sorgfältiger Exegese angeht, kommen dabei bemerkenswerte Seiten der biblischen Botschaft zum Vorschein.

Die zahlreichen Geschichten und anderen Texte, die von Konflikten sprechen, hat sie in eine einfache Gliederung gebracht; dafür beansprucht sie keine unbedingt gültige Kriteriologie: Persönliche Streitsachen - Streit um Recht, Ordnung und Tradition - Streit um Glaubensfragen - Streit mit Gott. Sie weiß jedoch, dass es in allen Texten im Kern um religiöse Grundentscheidungen geht. Diese Dimension scheint darum überall auf. Die Reihe der Streitfälle beginnt mit Kain und Abel über Streit im Hause Abraham, Saul und David, Hiob, Konflikte von Propheten und die Streitgespräche Jesu bis zu Paulus und die Passion Jesu. Auch weniger registrierte Texte des Alten Testaments unterzieht sie einer genaueren Analyse, z.B. Juda und Thamar, der Hass des Schimi, der Konflikt des Propheten Micha. Das Geschick der Autorin besteht darin, dass sie auf jeweils zwei bis vier Seiten die Dramatik des Konflikts in seiner inneren Struktur in einer lebendigen Darstellung erschließt und mit zahlreichen Nachdenkimpulsen bereichert. Der Leser wird durch feinsinnige Formulierungen unmittelbar in den Konflikt hineinversetzt und lernt die sachlichen Zusammenhänge gut kennen. Die Hintergründe werden unmittelbar transparent. So vertieft sich das Verständnis der Texte enorm.

Ungewöhnliche Verhaltensweisen der Menschen im Bösen wie im Guten verbinden die Geschichten miteinander. Neid und Eifersucht, die nichts anderes als Kampf um Anerkennung und Vorrang sind, treten vielerorts gerade auch im religiösen Kontext hervor. Nicht selten wird eine energiegeladene Spannung zwischen Leidenschaft für die Sache und der Notwendigkeit fruchtbarer Zusammenarbeit augenscheinlich (z.B. bei Paulus). Die Autorin beschreibt die Strategien der Menschen und die Winkelzüge, die manchmal das göttliche Handeln bestimmen. Zwangslagen und ihre Lösungen bzw. Wirkungen stellt sie in sprachlich beeindruckenden Interpretationen vor. Dadurch liest sich das Buch recht flüssig und doch anregend. Freilich könnte man sich vorstellen, dass man manche Texte noch gründlicher analysieren müsste. Der Stil der Beschreibung müsste darum weitergeführt werden in eine Strukturanalyse, durch die auch dem modernen Leser die Weisheit der Bibel noch deutlicher vor Augen gefiihrt werden könnte. Besonders die Erzählung von Kain und Abel (Gen 4) gibt für die Einsicht in die Entstehung und Entwicklung von Aggression wie auch für ihre Überwindung mehr her als moderne psychologische Theorien. Die Bibel ist nicht nur hier moderner, besser gesagt: gegenwartsrelevanter als zahlreiche wissenschaftliche Erkenntnisse. Das Buch von Susanne Krahe vermag den Leser jedoch auf solche Spuren zu bringen.

Rudi Ott



Aus "Publik-Forum" vom 13.5.2005:

Biblische Streitkultur, über die man streiten kann

Judith enthauptet Holofernes - ein "Beispiel biblischer Streitkultur"? Die Leserin stutzt bei diesem Motiv des Umschlagbildes. Es stellt sich bei näherem Hinsehen heraus, dass das bekannte Bild von Artemisia Genteleschi nur als werbewirksamer Blickfang dient, die Geschichte im Buch aber gar nicht enthalten ist. Dort finden sich rund 30 nacherzählte Geschichten aus dem Alten und 20 aus dem Neuen Testament, in denen von Streitigkeiten die Rede ist: von Konflikten zwischen Menschen, von Konflikten um Recht, Ordnung und Tradition, von Streit um Glaubensfragen und sogar von Streit mit Gott. Das Buch ist anregend, weil es die Fülle von Streitthemen und -formen zeigt, die uns in der biblischen Tradition begegnet und weil es auch manch weniger bekannte Geschichte präsentiert. Susanne Krake erzählt mehr, als sie analysiert ("Seit Tagen schlich Frau Hiob um ihren Ehemann herum"). Sie interessiert sich für die Handlungselemente, weniger für die theologische Botschaft der Texte. Die Sprache ist feuilletonistisch, gelegentlich schnoddrig (Simson als "Superman"), Hinweise auf die Fiktionalität beziehungsweise den Sitz im Leben der Texte gibt es nicht.

Anneli Baum-Resch