Vom Nageln



Vom Nageln

I

Ich wusste, was ich tat. Ich wusste es ganz genau. Die Technik ist immer dieselbe: Fünf, sechs gezielte Schläge an Elle und Speiche vorbei, präzise zwischen die Sehnenstränge plaziert und nicht durch die Schlagader. Umdrehen bitte. Die Innenhand bitte. Da treibe ich den Nagel hinein, bis er tief genug im Holz steckt. Ich wusste genau, was ich zu tun hatte. Einen rechten Winkel hämmern, so schnell es geht. Drei Minuten pro Handgelenk, länger brauchte ich nicht. Länger wird es auch jetzt nicht dauern. Denn keine fünf Sekunden hältst du den sauren, nach Galle stinkenden Atem des Delinquenten aus. Schmerz, auf die Hornhäute gehaucht. Schreie, die über meinen verengten Pupillen zu Nebel gerinnen. Versuchen Sie, ruhiger zu atmen. Ihr Adamsapfel, mein Herr, tanzt seinen panischen Tanz genau in Augenhöhe. Aber drei, aber vier, aber fünf: Hammerschläge durch Mark und Bein. Dann wechselte ich die Seite und fixierte den zweiten Arm, genau wie bei Ihnen. Verzeihen Sie, wenn mein Knie Ihre sich windende, sich aufbäumende Seite berührt. Ich hämmere immer in Hockstellung, um alle Kraft in meinen Armen zu konzentrieren. Und noch einmal die Schreie im Gesicht, noch einmal die Blutspritzer, die wie Tau über meinen Bart perlen. Dann springe ich auf die Füße. Dann ist mein Handwerk vollbracht. So ist das. So spielt sie sich ab, die ganz normale Exekution eines Politischen. Bevor der Gehenkte sich beruhigen konnte, richteten wir das Kreuz auf. Genau wie bei Ihnen. Jetzt kommt der schlimmste Moment. Jetzt hängen Sie vertikal und Ihr Gewicht zieht Sie nach unten. Erst in diesem Moment stellt sich heraus, ob ich meine Arbeit ordentlich ausgeführt habe. Sitzen die Nägel nicht mittig oder zu weit vom Gelenk entfernt, reißt die Aufhängung sofort aus und der Nagel schnitzt dicke, blutende Fetzen vom Unterarm. Bei mir passiert das selten. Ich weiß, was ich tue, und Sie sollten dankbar sein. Ich nagele seit Jahren, und ich nagele gut. Passen Sie auf Ihre Füße auf. Stützen Sie sich so lange wie möglich auf das hervorspringende Brett. Wenn der Kandidat zu früh den Halt verliert und von der Stütze rutscht, wenn er sich also ganz und gar zerreissen lassen will, muss man die Unterschenkel ans Holz binden oder die Füße annageln, um die Aufhängung zu stabilisieren. Das ist Ihrem Leidensgenossen damals passiert. Wenn ich mich recht entsinne, spritzte mir bei der Fixierung der Füße eine Handvoll Gewebewasser entgegen. Aber das ist normal. Wenn alles hängt, staut sich das Wasser in den Füßen. Die Haut wird so prall, dass ein Daumennagel genügte, sie zum Platzen zu bringen. Eins, zwei, und mit dem dritten Hammerschlag war ich getauft.

II

Es ist vergebliche Liebesmüh: mich nach meinem Namen zu fragen. Schonen Sie lieber Ihre Stimme. Henker bleiben namenlos. Ich bin der Unbekannte in der Gleichung, die nie ganz aufgeht. Ich bleibe verschwommen wie der Speicheltropfen, der dem Kandidaten aus Nazareth über den Nasenrücken rieselte, als wir ihn verhöhnten. Ich flattere hohl über die Bühne wie der Purpurrock, den wir ihm überwarfen, um ihn als den König, den Tetrarchen von Judäa zu verspotten. Kniefällig trete ich auf. Vor dem Bespuckten und dem, der sich wenig später mit seinem Querbalken auf die Latte legte. Ich habe dem Delinquenten Myrrhe und Wein gereicht, zur Betäubung, denn so ist es üblich. Aber er nahm’s nicht. Können Sie sich das vorstellen? Er wollte keine Narkose. Er ließ sich martern, als habe er auch den letzten Tropfen aus diesem Kelch zu leeren, unerbittlich. Ja, da staunen Sie. Ich also war es, der das medizinische Gemisch zurückstellen und mit der Schulter zucken mußte. Meine Hände waren es, diese sehnigen, verschwielten Handwerkerhände, die die Nägel in sein Fleisch trieben und ein sechsstündiges Sterben entfachten. Mir, mir allein sah er dabei in die Augen, mir blies er die schalen Flammen der Hölle ins Gesicht. Ich sah die Risse in seinen Lippen. Seine Zähne sah ich und gelbliches, vertrocknetes Zahnfleisch. Und natürlich nahm ich das Recht der Scharfrichter wahr und besorgte mir, während er gespreizt am Holz hing, meinen Anteil an der Kleidung, die ich dem Sterbenden herunterriss. Ach, als ob ihm viel geblieben wäre. Ein schäbiger Umhang war es, um den das Streiten sich nicht gelohnt hat. Kaum drei Tage nach der Hinrichtung warf ich das fadenscheinige Gewebe in den Abfall. Keine Sorge, Sie können den Lendenschurz behalten. Ich habe keine Freude mehr an der Beute. Ich habe auch nie, wie ihr behauptet, um die fleckigen Lumpen gelost. Es gibt keine Pfänderspiele unter der grausamen Sonne auf Golgatha. Nein, wirklich. Mir ist nichts besonderes aufgefallen. Er hing und starb wie alle, genau so wie Sie. Sie könnten, Verzeihung, sein Zwilling sein. Übrigens nagelte ich auch die Zeloten an, die links und rechts von ihm zu hängen kamen. Ich habe gehört, wie sie jammerten und stöhnten und höhnisch gegen den Schweiger in ihrer Mitte krächzten; ich habe diese hohen, trockenen Stimmen voll Bitterkeit und Hysterie gehört und genau die Verzweiflung darin gefunden, die Oktaven der Todesangst, die ich von allen Todeskandidaten kenne. Was heißt hier Übeltäter, was heißt Sünder. Am Kreuz fluchen alle um ein letztes Krümelchen Leben. Das Schild gehört zu den Gepflogenheiten unserer römischen Kapitalstrafen. Ich werde Ihnen diese Bekanntgabe Ihres Verbrechens jetzt um den Hals hängen. Die andere Möglichkeit wäre, es über Ihrem Kopf zu befestigen, aber dabei kommen wir euch Stöhnern und Keuchern wieder so unangenehm lange nahe. Genug, dass mein Kommandant mich zu dem Nazarener in die Höhe schickte, wo ein Kranz aus Gestrüpp von seinem Scheitel tropfte. Der Sarkasmus in diesem Bild hat mich erschüttert, ehrlich. Ein König mit Heckendornen, aufgespießt zwischen den Terroristen. Na, den haben sie mächtig gehörnt, denke ich mir, und rasch springe ich auf den Boden zurück. Grotesk baumelt das Schild nun von Ihrem überdehnten Hals.

III

Was machst du während der sechs Stunden? Wie vertreibt der einfache Soldat sich die Zeit, die ein Gekreuzigter zum Sterben benötigt? Es gibt Männer, die brauchen das Doppelte. Einen ganzen Umlauf des Zeigers beanspruchen sie für ihre endgültigen Atemzüge, ob unsereinem die Zeit dabei lang wird oder nicht. Im Laufe der Jahre habe ich genug Berufserfahrung gesammelt, um die schädlichsten Fehler zu vermeiden. Es gibt da ein paar Regeln, wissen Sie, ein paar Etiketten der Henker, die sich immer bewähren. Schau nicht zu genau hin, lautet die erste. Beobachte nicht, wie die gewaltsam gestreckten Leiber sich winden und krümmen möchten und doch nicht können, wie die Gelenke schwellen und auskugeln, wie das Fleisch reisst und der Bauch sich bläht. Hör nicht zu. Das ist Grundsatz Nummer zwei: Hör nicht auf ihre Flüche und Beschimpfungen, die im Verlauf der Stunden zu Gebeten und Klagen anwachsen, um schließlich zu einem Jammern und Winseln zu vertrocknen. Nur wenn die Kandidaten untereinander Streit bekommen, müssen wir ihnen eins übers Maul ziehen. Das war auch diesmal der Fall. Die beiden zelotischen Nachbarn krähten dem Mittigen in die Ohren, bis ich aufstand, um sie zum Schweigen zu bringen. Nicht, dass ich ihr aramäisches Kauderwelsch verstanden hätte; ich erfüllte nur meine Aufgabe, indem ich die beiden, die schon im Verenden fortgeschritten waren, mit einem Stock an den hohlen Wangen kitzelte. Da blieben sie still. Überhaupt wurde unter dem Kreuz des sogenannten Judenkönigs viel zu viel geredet. Das erlebt man selten, weil sich die meisten Zuschauer nicht so nah an den Galgen herantrauen, so nah, dass sie Blut, Schweiß und Exkremente riechen können. Aber bei diesem Angenagelten war das anders, und das war so ungefähr das einzige Detail, das mir wirklich aufgefallen ist. Jüdische Frauen, jüdische Männer und jüdische Priester betrachteten ihren angeblichen König in seinem elenden Ornat und hatten, wenn sie ihm zuriefen, stets Ironie in der Stimme. An diese gepreßten, an den Außenkanten kinnwärts gebogenen Lippenpaare erinnere ich mich genau. Ich wette, sie haben ihn aufgefordert, vom Holz zu steigen. Arzt, hilf dir selbst, oder so was ähnliches. Aber wen ich einmal dort befestigt habe, der reißt sich nicht los.

IV

Der Durst. Ich weiß. Sie krepieren am trockenen, salzigen, faserigen, bitteren, würgenden Durst. Der Durst ist bis ganz zum Schluss die erlesenste, die raffinierteste und peinigendste Qual für die Gekreuzigten. Ich sagte ja schon, und ich erklärte bereits, wie die hängende Position dem Menschenleib das Wasser aus den Schleimhäuten in die Füße zieht. Die Verurteilten haben keine Tränen mehr, keine Hautschicht auf den Lippen, kaum noch eine Stimme im geschwollenen Gaumen. Es reicht gerade noch, Wasser zu verlangen. Wasser! Mich dürstet. Alle lechzen, betteln, winseln um Wasser. Sorry, mein Freund, aber Wasser kriegen Sie nicht. Ich kann Ihnen tun, was ich allen tu, geben, was ich auch dem Judenkönig gab: einen Sog voll Essig. Den hole ich stets, wenn das Maß des Leidens bald voll ist und der Krug kurz vorm Brechen. Denken Sie nicht, es sei die letzte Gemeinheit, die einem Römer noch einfällt. Nein. Wenn ich jetzt Ihre Lippen mit der Säure verätze, hilft der Schreck Ihrem ausgewrungenen Herzen wahrscheinlich blitzartig über die Schwelle. Das Zeug ist so bitter, so scharf, dass den meisten Hören, Sehen und Schmecken für immer vergeht. Ich wollte also gerade, na ja, meine bescheidene Sterbehilfe verabreichen. Aber ich kam zu spät. Die Brust des Sterbenden hatte sich schon gehoben, auf die ganz charakteristische Weise. Die verdorrten Lungen wollen ein letztes mal Flügel bekommen, um ihre finale Blähung in einen Schrei zu investieren. Dann stürzt das Rippengebäude bis auf die Grundmauern ein. Dann der Spasmus vom Hals in die Waden. Endlich der Schrei, aber leise, nur noch sehr leise. Dann ist der Mann tot.

V

Nein, ich habe nichts ausgelassen. Was ich zu berichten weiß, ist die banale Geschichte einer banalen Hinrichtung. Wir Henker kennen keinen Gott, der den Verurteilten vergibt, keinen Vater, in dessen Händen eine auslaufende Seele Platz finden würde. Das alles sind eure Vokabeln, eure großen, pathetischen Wörter. Was heißt hier Eli, Eli. Ich verstehe eure kehlige Sprache nicht, kein Lama und kein Asaptani. Ich bin Römer und spreche leidlich Griechisch. Ich verstehe nur, was vierarmig durch meinen Horizont kreuzt: einen hölzernen Galgen, der euch von allen guten Geistern scheidet und zum Himmel stinkt. Was heißt, was nützt da das Psalmenbeten. Wegschreien wollt ihr die Stahlfaust im Hals, die langsam nach unten greift, wegschreien den riesigen, kalten Schatten. Aber meinetwegen und wenn’s euch tröstet: Eine Sekunde lang bebte der Staub unter meinen Sandalen. Und dem Sterbenden war zum Schluss die Stimme zurückgekehrt, was ich ziemlich bemerkenswert finde. Das mit der Finsternis jedoch, das haben Sie gesagt. Ich jedenfalls sah lediglich das Dunkle im aufgerissenen Auge des Gehenkten wachsen und maß daran die ihm zum Atmen verbleibende Zeit. Und dass der Vorhang im Tempel zerriss, als er seine Seele aushauchte, ist eine Legende. In Wirklichkeit rissen sich ein paar Weiber unter der Leiche die Schleier vom Kopf, rauften sich die Frisuren und heulten, wie es bei den Orientalen üblich ist. Der Herr sei gestorben, der Herr! Aber ich merke, mein Herr, dass auch Sie inzwischen klanglos verendet sind und nur dies angestrengte, den bitteren Stich des Essigs reflektierende Gesicht übrig gelassen haben. Gut so, damit ersparen Sie mir, Ihnen die Unterschenkel zu brechen. So, genau so hat auch der andere ausgesehen, den ihr Messias und Gottessohn nanntet und mit einem Propheten verwechselt habt. Genauso verdreht und gespreizt und plötzlich überdimensional auseinandergezogen hing er über mir; ein Sklave vielleicht, ein Fußabtreter Gottes, aber bestimmt nicht sein eingeborener Sohn. Ich mußte der abgewrackten Leiche die Augen schließen und habe dann Feierabend gemacht. Wahrlich, dieser arme Mensch hatte zuende gelitten. Dieser arme Mensch war tot. Auch Sie, mein Freund, auch Sie haben es geschafft. Ich werde auch Ihnen jetzt die Lider zudrücken, denn eine Leiche, die bei der Kreuzesabnahme steif und offenen Auges den Henkersknechten entgegenschlenkert, ist kein schöner Anblick und macht uns schaudern. Erlauben Sie mir deshalb diesen letzten Besuch in Ihrer luftigen Höhe. So, das hätten wir. Ein letztes Mal muss ich Sie berühren. Aber sanft, mein Freund, nun, da alles überstanden ist. Ich bringe guten Willen mit, keine Nägel. Ich bringe Ruhe, keinen Schmerz. Auch hat der Essig Ihren Fäulnisgeruch ein wenig gemindert. Sie duften beinahe frisch aus dem Munde. Still ist es hier oben. Unheimlich still.

(copyright by) Susanne Krahe