Die Fütterung

Regie: Jörg Schlüter
Produktion: WDR (1998)


Rezension von Frank Kaspar in der FAZ vom 28.06.1999

Löffel für Löffel

Von Liebe und Hunger: "Die Fütterung" (SWR 2)

Füttern heißt verwöhnen. Es zählt zu den ersten Gunstbeweisen, die jeder erhält. Deshalb führen Verhaltensbiologen Zeichen der Zärtlichkeit so gerne auf diese Urszene der Brutpflege zurück. Der Kuß, heißt es, sei ein symbolischer Leckerbissen. Füttern, ob buchstäblich oder symbolisch, ist die liebevolle Investition in einen Menschen, dem Hoffnung gilt: die Hoffnung auf sein glückliches Heranwachsen oder eine gemeinsame Zukunft.

Was aber, wenn der, der gefüttert wird, keine Zukunft hat? Wenn Pflege und Zuwendung den Geschmack einer lebenserhaltenden Maßnahme annehinen? Die Dinge drohen sich zu verwandeIn, Nahrung in Knebel, Lust in Ekel, Füttern in Abfüttern. Diesen Veränderungen gilt Susanne Krahes Aufmerksamkeit. Sie hat ihr Stück als "Hörspiel-Tryptichon" angelegt, und wenn es tatsächlich ein Gemälde wäre, sähe es ungefähr wie folgt aus:
Die Mitteltafel zeigt eine häusliche Szene in einer Wohnküche und ist in ihrem Aufbau der Bildtradition der "Verkündigung an Maria" verpflichtet. Anstelle des Engels tritt von links ein junger Mann herein, in der Hand eine Aluminiumschale mit einem Fertiggericht. Am Tisch sitzend erwartet ihn eine ältere Frau. Sie hat ein Lachsbrötchen' eine Tasse Kaffee und einen Aschenbecher für ihren Gast bereitgestellt. Die Blicke der beiden führen aneinander vorbei, jeder scheint in seiner eigenen Sphäre zu bleiben: Die beiden Szenen auf den Seitenflügeln entsprechen einander spiegel-bildlich. Ein Kind mit Wasserkopf wird von der Mutter, ein gelähmter Mann von einer Krankenschwester gefüttert. Beide haben ihrer Pflegeperson Brei ins Gesicht gespuckt.

Wegschauen und Spucken sind die beiden Motive, aus denen Susanne Krahe die Szenenfolge entwickelt hat. Die Mutter stopft den hilflos aufgesperrten Mund ihres behinderten Kindes, um ihn nicht sehen zu müssen. Löffel für Löffel nährt sie ihre Hoffnung, daß sich doch alles zum Guten wenden werde. Die Krankenschwester schaut ihrem Patienten nicht ins Gesicht und gibt ihm so Gelegenheit, seine Spuck-Attacken vorzubereiten, in denen der vom Hals abwärts Gelähmte den letzten noch möglichen Akt der Selbstbehauptung erfährt. Der Zivildienstleistende weicht der alten Frau aus und versucht, sie mit einer lustlos zur Schau getragenen Beschwingtheit auf Distanz zu halten. Sie umgamt ihn verzweifelt, und nach zähem Ringen gelingt es ihr, ihm auch etwas zu essen aufzunötigen und die demütigende Situation für einen Augenblick aufzubrechen.

Regisseur Jörg Schlüter beschwört die beklemmende Atmosphäre des Stücks durch sparsam eingesetzte Geräusche. Eine Spieluhr klimpert dissonant wie in einem bösen Traum, und über den Köpfen der Personen schleift irgend etwas langsam hin und her, wie ein schweres Beil an einem Pendel. Die Zeit schleppt sich mühsam voran. Daß die Geduld des Zuhörers dennoch nicht strapaziert wird, ist nicht zuletzt dem präzisen Schnitt von Jeanette Wirtz-Fabian zu verdanken, der die Stilisierung der kurzen exemplarischen Szenen unterstreicht.

Susanne Krahe konnte der Versuchung nicht widerstehen, das Stück mit einem zynischen Schwenk ins Spirituelle ausklingen zu lassen. Am Ende grübelt der "Spucker" über seinen Schicksalsgenossen, der an ein kleines Holz-kreuz über der Zimmertür genagelt ist. Diese und andere Randbemerkungen können es nicht verhehlen: "Die Fütterung" ist ein religiöses Sittengemälde. Doch das Verdienst des Hörspiels liegt in der knappen, treffsicheren und unsentimentalen Beschreibung, der es gelingt, den Schleier eines obligatorischen Mitleids zu zerreißen und dabei doch keinem der Beteiligten seine Würde zu nehmen.

Frank Kaspar



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