Symbiose

Regie: Renate Heitzmann
Produktion: DLR Berlin (1996)


Rezension von Jochen Rack in FK vom 21.02.1997

Überzeugend

Susanne Krahe: Symbiose
DLR Berlin So 9.2. 18.35 Uhr

Die bekannte Metapher, daß nur der Speer, der die Wunde schlug, sie auch zu heilen vermag, formuliert ein Problem, das Susanne Krahes Hörspiel im doppelten Sinne thematisiert: Nicht nur handelt es vom Schneiden in den menschlichen Körper, der modernen Chirurgie, sondern es vollzieht im Medium der Literatur, in der Reflexion der Verwendung, auch den Heilungsprozeß nach. Es geht um die subjektive Seite der Transplantationsmedizin, die Geschichte einer jungen Frau, die lernen muß, mit einer neuen Niere zu leben. In der aktuellen Debatte um die ehtische und juristische Verantwortbarkeit von Transplantationen wird diese Dimension meistens vergessen. Das Hörspiel "Symbiose" arbeitet diesem Vergessen und Verdrängen auf sensible Weise entgegen, in dem es dem transplantierten Organ eine Stimme verleiht. Ein paradoxes Selbstgespräch, in dem sich die Frau mit ihrer neuen Niere wie mit einem Anderen unterhält und sich ihm befreundet, Verkörperung der entfremdeten Erfahrung, die die Transplantation bedeutet, Literatur als Therapie.

Gegen die sachliche Beschreibung des Chirurgen und seiner wissenschaftlichen Terminologie setzt die Autorin kontrastiv die Zweifel und Ängste der Betroffenen. Der Arzt spricht von Statistik "Organpotential", erklärt die Abstoßungsreaktionen und das Immunsystem; die junge Frau aber denkt über den Toten nach, dessen Organ sie aufnimmt, und beschreibt die Veränderungen ihres Lebens, neue Chancen und Freiheiten.

Die Thematik hätte leicht zu Schwulst und Pathos verführen können, aber Krahe findet den leicht schwebenden Ton der Ironie, der auch das Groteske der "Symbiose" festhält. Vor allem wenn es um die wiedergefundene Lust am Essen geht, die kulinarischen Vergnügungen, die die Niere erlaubt, kommt der Humor zu seinem Recht. Wenn sich am Ende die Frau mit ihrer Niere auf eine Reise nach Hawai macht, um dort die neue gewonnene körperliche Freiheit genießen, ist das fast so etwas wie ein Happy End. Renate Heitzmann (Regie) hat in die Leerstellen des spannungsreichen Textes schrille Geräusche eingeblendet, die den leiblich Schmerz der Operation andeuten, der sich in der Sprache nicht mehr abbilden läßt. Der cool sachliche Sprachgestus des Arztes kontrastiert mit der gebrochen-empfindsamen Stimme der Patientin und den aufmüpfig-ironischen Äußerungen der Niere. Ein nicht nur aktuell brisantes, sondern auch künstlerisch in jeder Hinsicht berzeugendes Hörspiel.

21.2.97
Jochen Rack / FK



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